willix
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Beziehung zum Thema Ausländerrecht: Ich oute mich später
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Da die Diskussion hier schon recht ausgeufert und unübersichtlich geworden ist, habe ich mir gedacht, dass es gut wäre seit meinem ersten Eintrag eine kleine Zusammenfassung der Argumente zu schreiben. Die Fragen stelle ich an die verantwortlichen Politiker:
1. Verfassungsmäßigkeit
Soweit ich dies als juristischer Laie interpretieren konnte, hat die geplante Änderung des §28 Aufenthaltsgesetz zur Folge, dass der Vollzug des Ehelebens zwischen Deutschen und Drittstaatlern in Deutschland nicht mehr erlaubt ist, wenn der Drittstaatler kein Deutsch spricht und unter 21 Jahren alt ist. Dies bedeutet, dass das Familien- und Eheleben unter diesen Bedingungen durch den Staat nicht mehr geschützt wird und somit solche Ehen vom Gesetzgeber als nicht mehr schutzwürdig eingestuft werden. Darf der Gesetzgeber unter Achtung des Art.6 Abs. 1 Grundgesetz die Schutzwürdigkeit von Ehen und Familien an Bedingungen knüpfen? Überwiegt das Interesse der Allgemeinheit Sprachkenntnisse vor der Einreise oder das Warten auf die Vollendung des 21. Lebensjahres zu verlangen, gegenüber den Verfassungsrechten der betroffenen deutschen Staatsbürger? 2. Europäische Vorbilder
Der Gesetzentwurf orientiert sich offensichtlich an den rigiden Einreisebestimmungen für verheiratete Drittstaatler in Dänemark und den Niederlanden. In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass meines Wissens weder die niederländische noch die dänische Verfassung einen Artikel enthält, der Ehen und Familien unter einen besonderen staatlichen Schutz stellen. Die dortigen Einreisebestimmungen sind also von solchen Verfassungsfragen unberührt und damit rechtlich realisierbar.
3. Europäische Richtlinie
Des weiteren stützt sich der vorgelegte Gesetzentwurf hinsichtlich der Familienzusammenführung auf die Richtlinie 2003/86/EG der Europäischen Union. In Artikel 3 heißt es wörtlich: „(3) Diese Richtlinie findet auf die Familienangehörigen eines Unionsbürgers keine Anwendung." Nach dieser Richtlinie ist z.B. ein vorhergehender Intergrations- bzw. Sprachtest von mit Europäern verheirateten Drittstaatler nicht zu verlangen. Die geplante Änderung des §28 Aufenthaltsgesetz übersteigt also die Anforderungen der EU an den deutschen Gesetzgeber.
4. „Der gute Wille"
Soweit ich zahlreichen Politikern der Regierungsparteien gehört habe, steht der Einreise eines verheirateten Drittstaatlers soweit er etwas Mühe und guten Willen aufbringt, um die Anforderungen des Gesetzes zu erfüllen, nichts im Wege. So wäre bei etwas gutem Willen auch der verfassungsmäßig garantierte Schutz der Ehe und Familie gewährleistet. Natürlich bedarf es etwas Mühe und guten Willen, um sich in akzeptabler Weise in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Ausreichende Sprachkenntnisse können meines Erachtens hier auch nur ein Anfang für eine gelungene Integration sein. Dass den meisten einreisewilligen Drittstaatlern ohne ihnen zu große Schwierigkeiten zu bereiten solche Integrationsbemühungen auch vor der Einreise abverlangt werden können, halte ich sogar für realistisch.
Es gibt jedoch bestimmte Personengruppen oder Lebensumstände bei denen die vorgeschlagenen Anforderungen eine besondere Härte darstellen würden bzw. sogar unmöglich zu erfüllen wären. Ich werde im Folgenden einige Beispiele nennen, die immer unter der Voraussetzung stehen, dass der deutsche Ehegatte aus finanziellen, beruflichen oder anderen Gründen nicht im Ausland bei seinem Ehepartner leben kann:
4.1 Der schon von mir beschriebene Fall, dass der einreisewilige Drittstaatler in einer Region der Welt lebt, in der weder Schulen, noch Lehrer, oder andere Lernmedien zur Verfügung stehen, um Deutsch in einfacher mündlicher Form zu erlernen. Ich möchte nochmals darauf hinweisen, dass der deutsche Ehegatte vor der Einreise nicht mit dem Ehepartner im Ausland zusammenleben kann, da sonst der Antrag für eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland abgelehnt würde. Somit kann der deutsche Ehegatte beim Erwerb mündlicher Sprachkenntnisse nur sehr begrenzt (z.B. wenn Internet oder Telefon zugänglich sind) behilflich sein. Ein Erwerb einfacher Sprachkenntnisse wäre sogar unter Umständen möglich, würde aber erheblich länger dauern als bei einer guten Infrastruktur. Die daraus resultierende Wartezeit wäre eine unzumutbare Belastung für vor allem junge Ehen. Die Folge: Der Ehegatte kann nicht in absehbarer Zeit einreisen. Die Ehe wäre in Deutschland nicht geschützt. 4.2 Ein großer Teil der Weltbevölkerung leidet unter Analphabetismus. Dies betrifft bekanntlich in vielen armen Regionen vor allem Frauen. Ist ein deutscher Staatbürger also mit einem Analphabeten verheiratet, so muss dieser dennoch einfache Deutschkenntnisse vorweisen, um einreisen zu können. Der Erwerb einfacher Sprachkenntnisse ist durch den Analphabetismus erheblich erschwert. Die Folge: Der Ehegatte kann nicht in absehbarer Zeit einreisen. Die Ehe wäre in Deutschland nicht geschützt. 4.3 Die Ehegattin eines Deutschen erwartet von diesem ein Kind. Sie ist aber unter 21 oder noch nicht der deutschen Sprache mächtig. Die Folge: Die Einreise der Familie ist nicht möglich. Die Familie wäre in Deutschland nicht geschützt. 4.4 Ein deutscher Staatsbürger ist mit einem Drittstaatler verheiratet, der unter Legasthenie oder einer anderen körperlichen oder geistigen Krankheit leidet, die den Erwerb einer Sprache schwierig oder sogar unmöglich macht. Die Folge: Der Ehegatte kann nicht in absehbarer Zeit einreisen. Die Ehe wäre in Deutschland nicht geschützt. 4.5 Der Deutsche ist mit einem Drittstaatler seit Kurzem verheiratet. Die nochmalige Änderung des Aufenthaltsgesetzes und deren Folgen war nicht absehbar. Somit hat das Ehepaar auch nicht damit gerechnet, dass eine vorhergehender Spracherwerb nun von den deutschen Behörden verlangt wird. Die Folge: Der Ehegatte kann nicht in absehbarer Zeit einreisen. Die Ehe wäre in Deutschland nicht geschützt.
So ließen sich noch weitere Fälle nennen, bei denen der Vollzug des Ehelebens auch bei gutem Willen in Deutschland aufgrund der Rechtslage nicht möglich wäre. Natürlich lässt sich einwenden, dass dies nur eine kleine Minderheit betreffen würden, aber Grundrechte gelten auch für Minderheit. Wollen Sie das Leid der Minderheit der unter Zwangsehen oder Zwangsprostitution leidenden Menschen gegen das Leid einer Minderheit, die von der Gesetzesänderung hart getroffen sein wird, eintauschen? Kann der erhoffte Schutz der Rechte einzelner die verfassungsmäßigen Grundrechte eines anderen aufheben? Wollen Sie, um die oben beschriebenen Härtefälle zu verhindern, eine überbordende Bürokratie mit zahlreichen Klauseln und Härtefallregelungen schaffen?
5. Vermutete politische Zielsetzung
Leider habe ich bisher von keinem verantwortlichen Politiker eine Antwort auf folgende Frage bekommen: Worin sehen Sie die Integrationsproblematik, wenn Drittstaatler mit deutschen Staatsbürgern in Deutschland zusammenleben? Ist in der Mehrheit solcher Fälle kein guter und zügiger Spracherwerb und keine ausreichende Integration zu erwarten?
Da ich hierauf bisher keine Antwort bekommen habe, vermute ich, dass das Änderungsgesetz auf eine bestimmte, negativ auffallende Gruppe binationaler Ehen maßgeschneidert wurde. Ich vermute die Politik will vor allem diejenigen nicht-deutschstämmigen Deutschen mit einem zumeist türkischen Migrationshintergrund treffen, welche sich freiwillig oder unfreiwillig bevorzugt im nicht-europäischen Ausland ehelichen lassen, um dann die Familienangehörigen nach Deutschland zu holen. Die Erfahrungen zeigen in der Tat, dass die eingereisten Drittstaatler in solchen Fällen nur sehr mangelhaft die deutsche Sprache sprechen und auch sonst unzureichend integriert sind. Aber wie stehen Sie zu den Drittstaatlern, wie im Fall meiner Ehefrau, die nach der Einreise in Deutschland fest durch eine deutsche Familie ins Alltagsleben integriert werden und durch ein funktionierendes soziales Netz zügig an die deutsche Sprache und Kultur heran geführt werden. Darf man in solchen Fällen die Einreise wegen mangelnder Sprachkenntnisse verweigern und damit zusammenhängenden Probleme hinnehmen?
6. Alternativen
Eine mögliche Alternative wäre es, die Einbürgerungsbedingungen zu verschärfen, wie es ja schon vielfach diskutiert wurde. Damit könnte man dann erreichen, dass die eingebürgerten Deutschen besser integriert wären, was wiederum die Integration eventueller drittstaatlicher Ehepartner befördern würde. Zum anderen sind die verpflichtende Integrationskurse in Deutschland meines Erachtens ein geeignetes Instrument, um die Integration zu befördern. Die angestrebte Änderung des §28 halte ich hingegen in keiner Weise für zielführend. Sie bestraft vielmehr diejenigen, welche beabsichtigen sich vorbildlich in die Gesellschaft einzufügen.
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