Liebes Board, holt eure weiblichen Verwandten heran, denn das hier toppt vermutlich die Titanic-Story!
Es war 2011, als sich wohl ein göttlicher Zufall ereignet haben muss und mich eine Person in Facebook geaddet hat, die ich wohl niemals sonst getroffen hätte. Eine junge Frau aus Thimphu, der Hauptstadt des Himalaya-Königreichs Bhutan, das wohl die wenigsten auf der Landkarte ausmachen könnten. Nach meinem Bachelor-Abschluss musste ich erst einmal raus aus Deutschland und weil mir Malle und co. so gar nicht zusagen, stellte sich die Frage: Warum sie nicht einfach mal treffen? Ich hatte Europa vorher nie verlassen und ein bisschen Abenteuerlust. Wir verabredeten uns in Indien, nachdem wir über 18 Monate nur miteinander gechattet haben.
Da ein Visum für Bhutan nicht ohne weiteres erhältlich ist und eine Riesenmenge Geld kostet, haben wir zunächst ein paar Tage in Indien verbracht. Allerdings ist es ein wirklich fürchterlich dreckiges Land und in den Städten, die nicht so modern wie Delhi sind, stinkt es unaufhörlich. Deshalb haben wir uns an die Bhutanische Grenze bringen lassen und ihr Onkel schmuggelte mich auf der Ladefläche seines Pickups in die Provinz, in der er Statthalter ist, fernab jeglicher Zivilisation. Die Gastfreundschaft ist enorm, denn obwohl die Leute nicht viel haben, teilen sie alles und ich wurde natürlich gleich die Attraktion und das wohl größte Happening, das das Tal jemals erlebt hat. Wir blieben für fünf Tage und es kam was kommen musste: Unter einem Sternenhimmel, den man so in Deutschland aufgrund der Lichtverschumutzung niemals sehen könnte, und inmitten friedlichster Natur wurden wir ein Paar und ihre Tränen, als ich wieder zurückmusste, verfolgen mich bis heute. Diesmal brachte mich ein anderer bhutanischer Fahrer über einen nicht überwachten Schleichweg aus dem Land heraus zurück nach Indien. In der Folge blieb wiederum nur der Kontakt übers Internet, das in Bhutan immer wieder mal ausfällt, wie auch übrigens der Strom, aber das ist in Nordindien nicht anders. Es sollte noch einen dramatischen Nebenkriegsschauplatz geben: Ihre Eltern wollten sie verheiraten und hatten schon jemanden arrangiert, der aber scheinbar gewalttätig war. Durch mich ist diese Hochzeit geplatzt und ihr versprochener Ehepartner hat lange gebraucht, um damit fertig zu werden. Scheinbar hatte er Probleme damit, dass sein versprochener Besitz ihm genommen worden ist. Zwischenzeitlich hatte er sie sogar mit dem Tode bedroht, doch da hat ihr Vater eingegriffen, der Polizist ist und ihm klargemacht, wohin ihn das bringen würde.
Mittlerweile bin ich dabei mein Masterstudium zu beenden und die Dinge entwickeln sich dramatisch: Erst durch unsere Beziehung ist meiner Freundin ihr rechtlicher Status klargeworden: Sie hat keine Bhutanische Staatsbürgerschaft! Also, sollte doch nicht zu schwer sein, eine zu bekommen, schließlich war sie ja in Bhutan geboren. Pustekuchen! Ihr Antrag liegt seit November 2013 unbearbeitet da. Erst ein zweiter Besuch meinerseits, der mich auch legal in Bhutans Hauptstadt Thimphu brachte (unter einer kräftigen Finanzspritze meiner Großeltern, da man für jeden Tag dort 200 Dollar zahlen muss) offenbarte das ganze Ausmaß einer völlig vergessenen Tragödie: Abertausende von Bhutanern, die nur zur Hälfte von Bhutanern abstammen, sind ohne Staatsbürgerschaft! Und das Interesse der Behörden, das zu ändern, ist quasi nicht vorhanden. Ohne Staatsbürgerschaft aber kein Pass - wir sind in eine Situation geraten, die mit Worten nicht zu beschreiben ist. Die Situation geht zurück auf einen Konflikt aus den 80er- und 90er-Jahren, dessen Folgen
bis heute spürbar sind. Zwar ist meine Freundin kein Flüchtling, aber sie spürt die Spätfolgen, nämlich die sogenannten Zensus-Probleme (siehe
HIER,
HIER und
HIER). Zu allem Überfluss fuhr ihr Ex-Verlobter noch einmal alle Geschütze auf und randalierte in dem Hotel, in dem sie zu dem Zeitpunkt angestellt war, so dass sie gefeuert wurde, weil sie ihre persönlichen Probleme in das Hotel getragen haben soll. Sie hat aber einen neuen Job bekommen und der Randalierer ist fürs Erste drüber hinweg, soll auch schon eine neue Freundin haben. Dazu war ich noch ein zweites Mal illegal in der Südprovinz, doch selbst Polizisten sind eher interessiert an unserer Story als dass sie irgendwelche Anstalten machen würden, irgendwie nach Papieren zu fragen. In dieser Südprovinz leiden ganz besonders viele Menschen unter dieser unmenschlichen Situation, dass ihnen die Staatsbürgerschaft verwehrt wird. Thimphu ist nur über einen Umweg durch Indien zu erreichen und diese armen Leute müssen ihr ganzes hart erwirtschaftetes Geld dafür ausgeben, alle sechs Monate dorthin zu fahren, um ihr vorläufiges Dokument ("Road Pass") erneuern zu lassen. Wenigstens das bleibt meiner Freundin erspart, da sie in Thimphu lebt.
Und so begann eine Bürokratieodyssee, die an Unfassbarkeit nicht zu überbieten ist. Ihr Staatsbürgerschaftsantrag Ende 2013 wurde mit den Worten "We will call you" angenommen, seitdem ist nichts passiert. Wir haben daraufhin versucht, ihr einen Pass ausstellen zu lassen, was laut der offiziellen Seite auch ohne Citizenship ID Card (der dortige Personalausweis) möglich sein soll. Doch leider ist dem mitnichten so: Das Amt wollte plötzlich eine Bestätigung vom Zensus, dass sie registriert ist und für einen Pass in Frage kommt. Sie ist daraufhin von einer Behörde zur nächsten gelaufen: Vom Ministry of Foreign Affairs (für den Pass) zum Ministry of Home and Cultural Affairs (für Registrierung) und gleichzeitig zum Amt, das direkt dem König unterstellt ist. Doch überall das Gleiche: Man versprach ihr, sich um den Fall zu kümmern, nur um sich nicht mehr zu melden. Sie ist daraufhin täglich in die Büros gelaufen. Ihr wurde versprochen, dass der Fall bis August abgeschlossen wäre, doch das wurde zurückgenommen. Ich selbst habe Briefe geschrieben, die zwar angesehen, aber nie beantwortet wurden. Schließlich hat meine Freundin so einen Stress gemacht, dass das königliche Amt ihr einen Termin mit dem Premierminister gemacht hat. Sie ist zu ihm hin, hat ihm unter Tränen die gesamte Situation geschildert. Er war wohl sehr berührt und hat Schreiben von ihr und mir entgegen genommen. Doch alles dreht sich im Kreis: Scheinbar hatte der Premierminister keine Zeit für diese Sache und er leitete den Fall an einen Mitarbeiter weiter. Letztlich waren wir wieder da, wo wir vorher schon waren, nämlich in der Warteschleife. Gleichzeitig hat das Ministry of Home and Cultural Affairs ihr mitgeteilt, sie solle doch warten, bis ihr Staatsbürgerschaftsantrag bearbeitet wurde. FRUST!
Einen Pass, geschweige denn eine Staatsbürgerschaft hat sie bis heute nicht. Heiraten kann ich sie in Bhutan übrigens auch nicht, da sie nicht die Staatsbürgerschaft besitzt. Doch sie gibt nicht auf und hat den Minister of Home and Cultural Affairs kontaktiert, der sie treffen wollte. Morgen wird sie den Heimatminister antreffen in der Hoffnung, dass er ihr einen temporären Pass ausstellt. Er hat uns seine Hilfe zugesagt, die Frage ist, ob er die Befugnis hat.
Aber wir haben alle Hebel in Bewegung gesetzt und einen Plan B. Dieser würde aber deutlich komplizierter werden. Wir haben bereits mehrere Kontakte auf dem dortigen Schwarzmarkt, die Pässe ausstellen können, aber so etwas kostet erstens Geld und zweitens müsste meine Freundin nach Indien oder Nepal, was in dieser Gegend der Erde nicht mal eben so einfach möglich ist, obschon sie für diese Länder kein Visum braucht, und man sie zur Not über die Grenze schmuggeln könnte wie ihr Onkel es mit mir gemacht hat. Ein Kontakt in Indien ist jedoch nicht mehr verfügbar. Ein weiterer hat uns vermeldet, dass sie eine komplett neue Identität bekommen würde, doch das würde 5 Monate dauern. Zwei weitere Möglichkeiten in Nepal wollen sich die nächsten Tage melden. Ich selbst werde gerade erst mein Masterstudium beenden und danach ein Volontariat machen. Finanziell dürfte es also auch erst einmal schwierig werden, aber ich habe Ersparnisse und hilfsbereite Eltern und meine freundin wird sobald sie ausreichend deutsch spricht ebenfalls arbeiten gehen.
Der Plan ist, sie zunächst mit einem Touristenvisum nach Deutschland zu holen, um ihr Zeit zu geben, sich das Leben hier anzusehen und zu schauen, ob wir zusammenpassen, und dann später mit einem Heiratsvisum wiederzukommen. Oder wäre es besser gleich ein Heiratsvisum zu beantragen? Dann aber stehen die Sprachkenntnisse möglicherweise im Weg: Sie spricht natürlich noch kein Wort deutsch, aber zumindest fließend Englisch, was in Bhutan die zweite Amtssprache ist und schon in der 1. Klasse gelehrt wird. Ich werde sie auf jeden Fall in einen Integrationskurs stecken falls es klappen sollte. Die Hochzeit würden wir vermutlich in Dänemark durchführen lassen, aber im Moment sind wir noch in der unangenehmsten Phase, nämlich dass sie überhaupt erst die Möglichkeit bekommt, ein Visum zu beantragen. Es muss doch irgendwelche Dokumente geben, schließlich ist Freizügigkeit/Reisefreiheit ein Menschenrecht!
Meine Fragen sind nun:
- Gesetzt den Fall, sie bekommt einen vorläufigen bhutanischen Reiseausweis, könnte sie damit überhaupt nach Deutschland kommen und heiraten?
- Die Geburtsurkunden ihrer Eltern, sofern es sie jemals gegeben hat, sind bei einem Häuserbrand vernichtet worden. Könnte dies zum Problem werden?
- Gibt es sonst noch irgendeine Möglichkeit, wie sie befugt wäre, nach Deutschland einzureisen? Irgendwelche Passersatzdokumente, etwa von der UN? Kann man den Reiseausweis für Ausländer auch in der deutschen Botschaft in Delhi bekommen? Oder gibt es Sondergenehmigungen ohne Pass zu reisen?
- Gesetzt den Fall, wir besorgen ihr einen Pass in Indien oder Nepal: Würde das bei der Hochzeit zu Problemen führen, wenn die Eltern ihre Ledigkeit bestätigen, aber in Bhutan leben, während sie mit einem indischen oder nepalesischen Pass reist?
- Muss sie ihre Sprachkenntnisse schon für das Heiratsvisum nachweisen oder reicht es, wenn man sie in einen Integrationskurs steckt? Wann genau muss sie die Kenntnisse nachweisen?
- Dann gibt es noch diesen Einkommensnachweise: Reicht das Einkommen aus einem Volontariat überhaupt, um ein Heiratsvisum zu bekommen? Würden Ersparnisse und hilfbereite Eltern die Situation verbessern?
- Kurzum: Wozu würdet ihr uns raten?
Ich hoffe ihr konntet ein bisschen in dieser unglaublichen Geschichte mitfiebern und hoffe auch, dass alles gut ausgeht. Sie ist das liebste Mädchen der Welt und eigentlich viel zu gut für den Planeten. Sie hat auf Unterhalt von ihrem Ex-Freund verzichtet, der sie sitzen gelassen hat, nachdem sie schwanger wurde. Dieses Kind, das heute 5 Jahre alt ist, soll aber im Falle einer Heirat auf jeden Fall fürs Erste in Bhutan bleiben und bei ihren Eltern aufwachsen, die sich ohnehin schon die ganze Zeit drum gekümmert haben. Warum wird nur den liebsten Menschen immer so übel mitgespielt?