Man muss sich schon mal die Aufenthalts- bzw. Antragsbiographien einiger Problemfälle ansehen. Nehmen wir mal den jetzt vom VG Berlin entschiedenen Fall. Junger Mann, in D geboren, dann als kleines Kind zu den Großeltern. Tunesien. Vermutlich, weil das Aufziehen eines Kindes in Tunesien weniger kostet und von den Großeltern leichter erledigt werden kann als bei den Eltern in D. Will darüber gar keinen Stab brechen, aber so ist es nun mal. Inzwischen ist es umgekehrt: Die Eltern freuen sich vielleicht, wenn der Sohn ihnen hier und da bei Handgriffen usw. helfen kann. Perspektivisch sich um die Eltern im Alter kümmern kann. Ist ja ok als Plan. Aber auch ok, die Ernsthaftigkeit der Studienabsicht in Frage zu stellen, wenn das Studienvisum erst der x. Versuch ist, irgendwie nach Deutschland zu kommen.
Gehen wir nochmal tiefer rein in ein typisches Profil. Ich sage, "ein" typisches Profil, weil ich das jetzt mal von dem konkret von dem VG Berlin entschiedenen Fall abstrahiere. Einfach mal ein paar data points, wie sie in dem Fall vielleicht, vielleicht aber auch nicht, gegeben waren - ob nun tatsächlich oder nur in den Augen der Entscheider:
- Als Kind in D geboren, dann jahrelang in TUN gelebt => immer große Augen und Pläne Richtung DE, dabei aber mutmaßlich nur eingeschränktes Verständnis für wirkliche Lebensverhältnisse hier, das diesbezügl. Problembewusstsein, dass da vieles ist, was man erst noch erfassen und einordnen muss, fehlt aber möglicherweise sehr umfassend, Selbstreflexion wurde nie eingeübt. Damit viel größere Integrationsaversion als bspw. bei einem Chinesen, der noch nie in DE war und "nur" am
GI Deutsch gelernt hat - dieser Chinese weiß, was er alles nicht weiß,
der hier denkt aber, er weiß, wie's in DE läuft, weil er mittelgut Deutsch spricht und deutsches TV versteht. Interkulturelle Frustration vorprogrammiert.
- Bei Großeltern aufgewachsen => noch mehr verhätschelt als sonst eh schon viele junge Männer aus der Region, in der es nicht unüblich ist, dass Männer sich den lieben, langen Tag von Frauen (Müttern, Schwestern, Tanten, Großmüttern...) bedienen und sogar aushalten lassen, ein hohes Bild von sich selbst haben, und selten im Leben - auch nicht in der Schule, wo viel auswendig gelernt und abgespult wird - eigenständige Problemlösungskompetenz beweisen mussten. Eine Einstellung, die in D meist dazu führt, dass außerhalb der community von (männlichen) Migranten aus derselben Region wenig soziale Kontakte entstehen. Unterscheidet sich somit schon verhältnismäßig elementar von den meisten in D aufgewachsenen 18-/19jährigen. Die haben vielleicht keinen Plan, wo sie mit dem Studium mal hinwollen, aber haben ein anderes Arbeitsethos. Ja, es gibt da auch innerhalb Deutschland soziale und übrigens auch regionale Unterschiede. Und das ist hier auch kein Soziologieforum, und bei Generalisierungen ist Vorsicht angebracht. Trotzdem. Die zu beobachtenden Unterschiede gibt es, und sie sind nicht unerheblich.
- Generelle "entitlement attitude" (es wird viel return für wenig investment erwartet) muss befürchtet werden, unterschwellige "Kinder"-Vorstellungen von dickem Auto, tollen Frauen, die alle, anders als in TUN, verfügbar sind. Selbstdisziplin und ganz allgemein "walk the talk" sind nicht so verbreitet.
- Und dann die Ernüchterung, wenn das alles hier nicht hinhaut, und die Realität letztlich mindestens so dröge ist wie in TUN. Studium läuft nicht, Geld läuft nicht, Frauen läuft nicht, Eltern mischen sich ein. Keine Erfolgsstories, mit denen man sich bei Besuchen zuhause "brüsten" kann.
- Side note: Es gibt viele, viele, junge, männliche, frustrierte Tunesier. Dieses Land stellt das höchste Dschihadistenkontigent in Syrien.
Ist es nicht ok, wenn ein deutscher Botschaftsmitarbeiter sich bewusst oder unbewusst überlegt, dass auch eine nur abstrakte Erhöhung dieses Gefährderpotenzials hier nicht wünschenswert ist? Und dass man deshalb bei bestimmten Fällen einfach sehr genau hinguckt, was die Plausibilität eines Studienvorhabens angeht?
Ich weiß ja nicht, aber als ich das Urteil gelesen hab, lief bei mir halt dieser Film, und ich könnte es ehrlich gesagt den Botschaftsmitarbeitern nicht verdenken, wenn das bei ihnen ähnlich war. Vielleicht tue ich ja gerade diesem Antragsteller damit großes Unrecht an. DAS ist aber genau der Grund, warum es wichtig ist, Plausibilität von Anträgen und Vorhabenbeschreibungen von Anfang an vernünftig abzuklopfen, um dieses Kopfkino bei den Rezipienten in die richtigen Bahnen zu lenken...