tapir schrieb am 31.08.2015 um 18:26:29:Martin11: Ich finde es nicht in Ordnung, wie Du hier alles über einen Kamm scherst. Es gibt da durchaus Unterschiede. Von Auslandsvertretung zu Auslandsvertretung, von Behörde zu Behörde, von Mitarbeiter zu Mitarbeiter.
Nun mal zum Fall:
- Die idiotische Praxis von Frankreich, ein Flugticket zu verlangen, existiert schon seit Ewigkeiten. Demgegenüber empfehlen deutsche Vertretungen regelmäßig, sich doch bitte noch KEIN Flugticket zu kaufen, weil man sonst auf den Aufwendungen sitzen bleibt, wenn abgelehnt wird. Vielleicht kann ja mal jemand an die Kommission oder eines dieser vielen, angeblich ja so sehr um Harmonisierung bemühten Schengen-Komitees und Subkomitees und Task Forces und und und in Brüssel schreiben, um die Frage zu klären.
- Wenigstens die Steuern und Gebühren werden einem regelmäßig (abzüglich eines Einbehalts für Handling) erstattet.
- Männliche, allein stehende Angehörige im zeugungsfähigen Alter aus solchen extrem armen Ländern (LDC), die nicht zur Oberschicht oder zu einer ganz schmalen, echten Bildungselite gehören und dementsprechend wirklich erkennbar verwurzelt sind, haben de facto keine Chance auf ein Schengen-Visum. Das kann man gut oder schlecht finden, aber es ist ein Fakt, darüber hätte man sich ja (z.B. hier) auch informieren können, bevor man Anträge stellt.
Kautionen haben die deutschen Auslandsvertretungen früher übrigens wirklich akzeptiert. Aber es hat sich gezeigt, dass das für Personen ohne Rückkehrbereitschaft kein wirkliches Hindernis war, es wurde sozusagen als Kosten der Einwanderung mitberücksichtigt. Seit Jahren existiert eine Weisung, wonach solche Kautionen grundsätzlich nicht mehr zu berücksichtigen sind. Steht auch im Visumhandbuch.
Kautionen in Strafsachen sind ein anderes Thema, aber letztlich geht es um dasselbe: Eine Außervollzugsetzung eines Haftbefehls gegen Sicherheitsleistung gibt's nur, wenn auf Grund einer Gesamtwürdigung der Umstände angesichts der Höhe der Sicherheit UND der Höhe der Straferwartung nach menschlichem Ermessen nicht mehr von Fluchtgefahr ausgegangen werden kann. Wer aus Fremdenhass in ein bewohntes Haus Brandsätze wirft (= Mord, versucht oder vollendet), kommt daher auch nicht auf eine Kaution von EUR 10 Mio. frei. Denn angesichts der lebenslangen Straferwartung wäre ein Fluchtanreiz auch dann noch gegeben, wenn die Sicherheit verfiele.
Gut, ich gebe zu, dass ich (da ich nur EIN betroffenes Land und in diesem selbstverständlich auch nur eine winzige Gruppe von Menschen persönlich kenne) zu sehr pauschaliert haben mag. Fakt ist aber auch, dass die deutsche Botschaft (als sie noch für Normalsterbliche tätig war) und die hiesigen Ausländerbehörden uns mehrfach falsch informiert haben - und, wie ich meine, stets gegen die Interessen der Menschen in Madagaskar und ihrer deutschen Freunde. Natürlich weiß ich nicht, ob es einfach Inkompetenz war, aber ich habe im Lauf der Zeit gemerkt, dass die vermeintliche Inkompetenz der Behördensachbearbeiter, wenn man mit Vorinfos (z.B. durch eure Mithilfe) an die Sache ranging, regelmäßig recht schnell verflog - oder anders ausgedrückt: Die Behörden haben wohl intern eine Abwimmelungstaktik verfolgt, die eindeutige Falschaussagen nicht nur deckte sondern wohl geradezu zur Vorschrift erklärt hat. Fakt ist, dass meine madagassischen Bekannten Stories glaubhaft erzählen, gegen die MEINE Erfahrungen als europäisch geschönt erscheinen müssen.
Geholfen hat mir damals (neben euch hier) eine Mitarbeiterin im Standesamt - auch dann wenn sie sachlich nicht jedes Mal so ganz hundertprozentig zuständig gewesen sein mag. Insofern: Ja, es gibt die individuellen Unterschiede, aber in meiner Stadt scheint es solche Menschen nicht innerhalb der Ausländerbehörde zu geben.
WENN man Angst hat, dass manche Menschen bleiben, dann finde ich es darüber hinaus extrem verwunderlich, dass jemand, dem Dank seines Geldes sämtliche Türen überall auf der Welt offen stehen, eine höhere Rückkehrbereitschaft zugetraut wird, als einem armen Schlucker. Der Cousin meiner Frau hätte hier in D - ohne Deutschkenntnisse, ohne gültige Arbeitserlaubnis, ohne eine Option irgendwann ein Bleiberecht zu erhalten, denke ich - nicht den Hauch einer Chance einen Arbeitsplatz zu finden. In Madagaskar hingegen stehen ihm tatsächlich eine Reihe von Türen offen, da er eine - für madagassische Verhältnisse zumindest - vernünftige und solide Schulbildung vorweisen kann.
Wie gesagt, teures Lehrgeld, reduziert sich tatsächlich noch etwas, da die Fluggesellschaft uns die Steuern in der Tat zurückerstatten wird (wobei ich noch nicht die Antwort habe, ob die auch brav NUR das Ticket des Cousins stornieren und nicht gleich noch das meiner Schwiegermutter mit).
Die Geschichte mit der Kaution verstehe ich auch nicht, da - wenn die Kaution hoch genug ist - der junge Mann so tief in unserer Schuld stände, dass er sich den Rest seines Lebens nirgendwo (auch nicht bei seinen Verwandten in Mada) mehr blicken lassen könnte - was für Madagassen die Höchststrafe bedeutet.
Und als letztes: MEINE (ebenfalls glücklicherweise nur beschränkte) Erfahrung mit der Strafverfolgung rechter Personen und Gruppierungen ist nach wie vor geprägt durch die Verfolgung türkischer Opfer der angeblichen Dönermorde und Untätigkeit gegenüber deutschen Verdächtigen. Als das Feuer im Flüchtlingsheim in Vorra die neue Runde der Anschläge auf Asylbewerberheime einläutete, hat die lokale Presse (trotz Hakenkreuzschmierereien an der Wand) erst einmal so getan, als ob die Bewohner es durchaus auch selbst getan haben könnten. Als ICH vor Jahren (friedlich!) in Wackersdorf demonstrierte, ging die Polizei und die mediale Öffentlichkeit mit uns nicht so schonungsvoll um. Die Jugendorganisation des BUND in Bayern geriet sogar unter Beobachtung durch den Verfassungsschutz - tut mir leid, meine Erfahrungen sind individuell, sind sicher nicht einfach zu verallgemeinern, aber sie werden immer und immer wieder bestätigt - um anschließend wieder von Menschen, die nicht dabei waren, geleugnet zu werden.
OB es dann tatsächlich eine lebenslange Freiheitsstrafe geben wird, bleibt abzuwarten. Ich lese täglich im Netz übelste Beleidigungen gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund, aber es kümmert sich offensichtlich niemand darum, selbst wenn man die Autoren den Admins meldet wird höchstens mal ein Beitrag gelöscht, fast nie werden die Hetzer gesperrt. Zitat: "Eine weniger, gut so" (zum Tod von Tulce Albayrak), "die sollte man alle an die Wand stellen" (zu den gestiegenen Flüchtlingszahlen), "dir sollte man Rede- und Schreibverbot erteilen" und "dir sollte man die Fresse zu Brei schlagen" (an mich, weil ich es gewagt hatte, öffentlich darauf hinzuweisen, dass auch im Internet kein rechtsfreier Raum ist).
Langer Rede kurzer Sinn: Welcher rechte Straftäter hat nach welcher Tat in den letzten zehn Jahren eine lebenslange Haftstrafe erhalten? Gibt es statistische Vergleiche mit Strafrahmen von Tätern mit Migrationshintergrund? (Gibt es, Amadeu-Antonio-Stiftung fragen, die Antworten sind nicht unbedingt aufbauend). Mein (erfundenes) Beispiel mag tendenziös gewesen sein - an den Haaren herbeigezogen ist es (leider) nicht.
Trotzdem danke für die Info - und im Prinzip auch für die "Einnordung" in Bezug auf das alle-über-einen -Kamm scheren. Das will ich nicht, ich denke ich habe mich auch immer für euer Engagement bedankt, ich KANN ein Impressum lesen und weiß also, wo ihr arbeitet - aber hier in der Nähe suche ich nach Menschen wie euch vergeblich.