Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit möchte ich folgende Stellungnahme als rechtliche Anhörung gemäß § 1 SächsVwVfZG i.V.m. § 28 VwVfG (Bund) geben:
1. Ich leite gemäß § 4 FreizügG/EU von meinem Sohn ein Freizügigkeitsrecht ab.
2. die Ablehnung des Freizügigkeitsrechtes für die Halbschwester meines Sohnes wäre eine unzulässige Einschränkung des Freizügigkeitsrechtes meines Sohnes. Ihr Aufenthaltsrecht kann sie nur indirekt aus dem Freizügigkeitsgesetz ableiten. Bei richtlinienkonformer Auslegung muss meiner Tochter eine Aufenthaltserlaubnis gemäß Aufenthaltsgesetz erteilt werden. Äußerst hilfsweise muss durch pflichtgemäßes Ermessen der Ausländerbehörde Dresden eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 erteilt werden.
zu den Gründen:
I. Allgemeines
1. Mein Sohn, der britischer Staatsangehöriger ist, ist nicht-erwerbstätiger Unionsbürger. Es ist zwischen Ihnen und mir unstreitig, dass mein Sohn aufgrund der Unterhaltsgewährung meines Ehemannes freizügigkeitsberechtigt ist.
2. Es ist unstreitig, dass eine häusliche Gemeinschaft zwischen meinem Sohn, meiner Tochter, meines Ehemannes und meiner Person besteht.
3. Es ist unstreitig, dass ausreichend Existenzmittel zur Verfügung stehen, da sonst die Unterhaltsgewährung zu 1. nicht gegeben wäre.
4. Es ist unstreitig, dass ich Familienangehöriger gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1-7 FreizügG/EU bin.
II. zu der abgeleiteten Freizügigkeit meinerseits
1. Sie beziehen sich in Ihrem Schreiben, dass ich gemäß des § 3 kein Freizügigkeitsrecht besäße. Jedoch mißachten Sie § 3 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU, der wie folgt lautet:
Für Familienangehörige der in § 2 Abs. 2 Nr. 5 genannten Unionsbürger gilt dies nach Maßgabe des § 4.
Somit laufen sämtliche Ausführungen ihrerseits bezüglich des Freizügigkeitsrechtes gemäß § 3 ins Leere, da der falsche Paragraph angewendet wird.
2. Für die korrekte Rechtsanwendung des FreizügG/EU auf meine Person muss § 4 angewendet werden. Dieser lautet wie folgt:
§ 4 Nicht erwerbstätige Freizügigkeitsberechtigte
Nicht erwerbstätige Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, haben das Recht nach § 2 Abs. 1, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. [...]
Da die ausreichenden Existenzmittel unstreitig sind (I. 2.) muss nur ein ausreichender Krankenversicherungsschutz nachgewiesen werden. Diesem Schreiben sind die Nachweise über den Besitz eines Krankenversicherungsschutzes für mich und meine Tochter enthalten.
3. Zudem: Nach EuGH Urteil Chen C 200/02 hat sowohl die drittstaatliche Mutter als auch das Kind mit EU Bürgerschaft Aufenthaltsrecht im Aufnahmemitgliedsstaat, wenn die im Urteil angegebenen Voraussetzungen erfüllt sind.
III. zu dem Aufenthaltsrecht meiner Tochter
1. Nach der Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Freizügigkeitsgesetz/EU Abschnitt 0.1.3 hat Gemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang vor Freizügigkeitsgesetz/EU.
In Bezug auf die drittstaatliche Halbschwester ist der britische Halbbruder der primär aufenthaltsberechtigte Unionsbürger und damit ist EU Richtlinie Artikel 3 Abschnitt 2a anzuwenden. Mangels Umsetzung dieses Teiles der Richtlinie durch Deutschland ist das Aufenthaltsrecht für die Halbschwester direkt aus Richtlinie gegeben.
Artikel 3
Berechtigte
(1) Diese Richtlinie gilt für jeden Unionsbürger, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat,
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine Familienangehörigen
im Sinne von Artikel 2 Nummer 2, die ihn begleiten oder ihm nachziehen.
(2) Unbeschadet eines etwaigen persönlichen Rechts auf Freizügigkeit und Aufenthalt der
Betroffenen erleichtert der Aufnahmemitgliedstaat nach Maßgabe seiner innerstaatlichen Rechtsvorschriften
die Einreise und den Aufenthalt der folgenden Personen:
a) jedes nicht unter die Definition in Artikel 2 Nummer 2 fallenden Familienangehörigen ungeachtet
seiner Staatsangehörigkeit, dem der primär aufenthaltsberechtigte Unionsbürger im
Herkunftsland Unterhalt gewährt oder der mit ihm im Herkunftsland in häuslicher Gemeinschaft
gelebt hat, oder wenn schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege
des Familienangehörigen durch den Unionsbürger zwingend erforderlich machen;
b) des Lebenspartners, mit dem der Unionsbürger eine ordnungsgemäß bescheinigte dauerhafte
Beziehung eingegangen ist.
Der Aufnahmemitgliedstaat führt eine eingehende Untersuchung der persönlichen Umstände durch
und begründet eine etwaige Verweigerung der Einreise oder des Aufenthalts dieser Personen.2. Gemäß EuGH, Urt. v. 25. Juli 2008 - C‑127/08 ("Metock") muss ein normales Familienleben möglich sein. Mein Sohn und meine Tochter werden seit Anbeginn gemeinsam erzogen. Durch die Verweigerung meiner Tochter ein Aufenthaltsrecht anzuerkennen bzw. zu erteilen müsste meine Tochter ausreisen. Als Mutter kann ich nicht zwischen meinen Kindern wählen, sodass wir gemeinsam ausreisen würden. Daraus folgt, dass mein Sohn nicht von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch machen könnte. Dies würde eine unzulässige Einschränkung seines Freizügigkeitsrecht bedeuten.
62 Wie bereits in Randnr. 56 des vorliegenden Urteils ausgeführt, würde die Ausübung der Freiheiten, die der Vertrag den Unionsbürgern gewährleistet, schwerwiegend behindert, wenn diese im Aufnahmemitgliedstaat kein normales Familienleben führen dürften.
63 Folglich kann der Gemeinschaftsgesetzgeber im Rahmen der Zuständigkeit, die ihm die genannten Artikel des Vertrags einräumen, die Voraussetzungen regeln, unter denen die Familienangehörigen eines Unionsbürgers in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einreisen und sich dort aufhalten dürfen, sofern der Unionsbürger dadurch in seiner Freizügigkeit beeinträchtigt sein könnte, dass ihn seine Familie nicht in den Aufnahmemitgliedstaat begleiten oder ihm nicht dorthin nachziehen darf, weil ihn dies davon abhielte, von seinem Recht Gebrauch zu machen, in diesen Mitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten.3a. Hieraus folgt, dass meiner Tochter eine Aufenthaltserlaubnis gemäß Aufenthaltsgesetz erteilt werden muss. Unter welchen Paragraph man jedoch die Aufenthaltserlaubnis erteilt, muss ermittelt werden. Hierzu muss man in die derzeit gültige DV-AZRG Anlage 10 nachschlagen. Das Aufenthaltsgesetz sieht einen Zuzug zu Halbgeschwistern als sonstige Familienangehöhirge in § 36 Abs. 2 vor, wobei aber ein außergewöhnlicher Härtefall vorliegen müsste. Der Normalfall wurde vom Gesetzgeber nicht vorgesehen. Somit ist dies ein begründeter Fall für einen nicht vom Gesetzgeber vorgesehenen Aufenhaltszweck, sodass eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 7 Abs. 1 Satz. 3
AufenthG erteilt werden müsste.
3b. Äußerst hilfsweise müsste gemäß ständiger Verwaltungspraxis zumindest meiner Tochter eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 erteilt werden. Insbesondere da hier § 6
GG und § 8 EMRK greifen. Siehe hierzu BVerwG 10 C 16.12 Rn 15 ff.
Art. 6 Abs. 1 und 2 GG gewährt keinen unmittelbaren Aufenthaltsanspruch, verpflichtet die Ausländerbehörden jedoch, bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren die bestehenden familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, umfassend zu berücksichtigen. Die Pflicht des Staates zum Schutz der Familie drängt einwanderungspolitische Belange erst dann zurück, wenn die gelebte Familiengemeinschaft nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden kann, etwa weil besondere Umstände demjenigen Mitglied dieser Gemeinschaft, zu dem der Ausländer eine außergewöhnlich enge Beziehung hat, ein Verlassen des Bundesgebiets unzumutbar machen. Handelt es sich bei diesem Mitglied der Familiengemeinschaft um ein Kind, so ist maßgeblich auf die Sicht des Kindes abzustellen (BVerfG, Beschlüsse vom 18. April 1989 - 2 BvR 1169/84 - BVerfGE 80, 81 <93>, vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83, 101, 313/84 - BVerfGE 76, 1 <46 ff.>, vom 5. Juni 2013 - 2 BvR 586/13 - AuAS 2013, 160, vom 10. Mai 2008 - 2 BvR 588/08 - InfAuslR 2008, 347 und vom 23. Januar 2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320). Die Besonderheiten, die sich aus einer als „Patchwork-Familie“ bezeichneten familiären Konstellation ergeben, müssen sorgfältig ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht berücksichtigt werden. Auch die außerhalb der „Patchwork-Familie“ stehenden leiblichen Elternteile der minderjährigen Familienangehörigen sind in die Betrachtung einzubeziehen.Somit wäre es ermessensfehlerhaft zumindest nicht eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 zu erteilen.
Mit freundlichen Grüßen
A B