dgstein schrieb am 04.04.2016 um 07:42:43:§ 2 Abs. 7 FreizügG/EU ist durch das Änderungsgesetz zum FreizügG/EU 2013 eingefügt worden, um Art. 35 der Richtlinie 2004/38/EG vom 29.04.2004 (UnionsRL) umzusetzen. Satz 1 konkretisiert die in Art. 35 UnionsRL enthaltene Ermächtigung, im Falle von Rechtsmissbrauch oder Betrug die erforderlichen Maßnahmen ergreifen zu können, um ein Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts feststellen zu können.
Die Ermächtigung in § 2 Abs. 7 Satz 2 FreizügG/EU knüpft hier an den besonderen Tatbestand der missbräuchlichen Inanspruchnahme eines Freizügigkeitsrechts eines drittstaatsangehörigen Familienangehörigen an, der zwar einem Unionsbürger (oder deutschen Rückkehrer) ins Bundesgebiet gefolgt ist oder ihm nachgezogen ist, damit jedoch einen anderen Zweck verfolgt als den der Herstellung einer familiären Lebensgemeinschaft. In diesem Fall ist der Anschein einer Freizügigkeitsberechtigung durch das Feststellungsverfahren zu beseitigen (Hailbronner, a.a.O., § 2 Rn. 112 sowie VG München, Urteil vom 27.08.2013 - M 12 K 13.2363 -, juris).
Ja, ja, der §2 Abs. 7... ist nur leider gerade keine richtlinienkonforme Umsetzung von Art. 35. Der deutsche Gesetzgeber hat hier die Anforderungen aus dem
AufenthG einfach in Bezug auf die Aufenthaltskarte übernommen - und fordert also die "Herstellung oder Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft". Das ist eine Dreistigkeit, weil das in der Richtlinie nirgends gefordert ist. Nach der RL kann der "Familienangehörige" (Der Ehepartner ist Familienangehöriger nach der Legaldefinition der RL) nachziehen, WEIL er das Aufenthaltsrecht hat. Punkt. Also ist die EINZIGE Voraussetzung für das Aufenthaltsrecht aus abgeleiteter Freizügigkeit die wirksam geschlossene Ehe.
(Nur die "Scheinehe" (eine Ehe, die ausschließlich zu dem Zweck geschlossen wurde, ein Aufenthaltsrecht zu erlangen) ist nach Art. 35 rechtsmissbräuchlich und kann zur Verweigerung des Aufenthaltsrechts führen. Die Beweislast dafür, dass es sich um eine Scheinehe handelt, trägt die Behörde - in Umkehr zum deutschen
AufenthG. Und sie muss zeigen, dass schon die Eheschließung nur zum Schein erfolgt ist. Wenn die Ehepartner sich drei Monate oder zwei Jahre nach der Heirat trennen und auch getrennt leben, dann wird die Ehe dadurch nicht zur Scheinehe.).
Bei dem von Hailbronner angeführten Urteil geht es denn auch glasklar um eine Scheinehe (es floss viel Geld und das Paar hatte sich vor der Heirat noch nie gesehen). Die abgeleitete Freizügigkeit wurde also gerade nicht deswegen verweigert, weil die "familiäre Lebensgemeinschaft" nicht hergestellt wurde.
Der §2 Abs.7 Satz 1 und 2 stehen im Widerspruch zur Richtlinie. Ich warte nur darauf, dass eine deutsche Ausländerbehörde eine Aufenthaltskarte verweigert mit der Begründung, die "familiäre Lebensgemeinschaft" werde nicht hergestellt, weil der Drittstaatler erklärtermaßen keinen gemeinsamen Wohnsitz mit dem Unionsbürger in Deutschland hat (das Beispiel Garmisch-Partenkirchen und Flensburg, das jemand in diesem Thread anführte). Das Verwaltungsgericht wird die Sache zurechtrücken.