Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit gebe ich folgende schriftlichen Stellungnahme zur Wahrung meines Rechts auf Anhörung gemäß § 1 SächsVwVfZG i.V.m. § 28 VwVfG (Bund) bezüglich des laufenden Verwaltungsverfahren ein und stelle fest:
1. Ich, X Y geboren am XX.XX.XXXX in X/Thailand, leite gemäß § 4 FreizügG/EU von meinem Sohn, X Y geboren am XX.XX.XXXX in X/Thailand, der freizügigkeitsberechtigter britischer Staatsangehöriger ist, ein Freizügigkeitsrecht ab.
2. Meine Tochter, X Y geboren am XX.XX.XXXX in X/Thailand, leitet direkt aus Artikel 3 Abs. 2 Nr a) der Richtlinie 2004/38/EG ein Freizügigkeitsrecht vom Bruder, der freizügigkeitsberechtigter britischer Staatsangehöriger ist, ab.
3. Die mögliche Ablehnung der Feststellung des abgeleiteten Freizügigkeitsrechtes für die Halbschwester meines Sohnes und mir wäre eine unzulässige Einschränkung des Freizügigkeitsrechtes meines Sohnes.
Ich bleibe bei meinen Anträgen, die wie folgt lauten:
1. Bei meiner Person das Bestehen der abgeleiteten EU-Freizügigkeit festzustellen und eine Aufenthaltskarte gemäß § 4 des FreizügG/EU zu erteilen.
2. Bei meiner Tochter das Bestehen der abgeleiteten EU-Freizügigkeit festzustellen und eine Aufenthaltskarte gemäß Artikel 10 der Richtlinie 2004/38/EG zu erteilen.
Ich erweitere den Antrag meiner Tochter dahingehend, dass äußerst hilfsweise durch pflichtgemäßes Ermessen eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 erteilt wird.
Gründe
I. Unstreitige Tatsachen
1. Mein Sohn, der britischer Staatsangehöriger ist, ist nichterwerbstätiger Unionsbürger. Es ist zwischen Ihnen und mir unstreitig, dass mein Sohn aufgrund der Unterhaltsgewährung meines Ehemannes freizügigkeitsberechtigt ist.
2. Es ist unstreitig, dass eine häusliche Gemeinschaft zwischen meinem Sohn, meiner Tochter, meinem Ehemann und mir besteht.
3. Es ist unstreitig, dass ausreichend Existenzmittel zur Verfügung stehen, da sonst die Unterhaltsgewährung zu 1. für die Anerkennung der Freizügigkeitsberechtigung nicht gegeben wäre.
4. Es ist unstreitig, dass ich Familienangehöriger gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 17 FreizügG/EU bin.
II. Zu der abgeleiteten Freizügigkeit meiner Person
1. Sie beziehen sich in Ihrem Schreiben, dass ich gemäß des § 3 kein Freizügigkeitsrecht besäße. Jedoch missachten Sie § 3 Abs. 1 Satz 2 des FreizügG/EU, der wie folgt lautet:
Für Familienangehörige der in § 2 Abs. 2 Nr. 5 genannten Unionsbürger gilt dies nach Maßgabe des § 4.
§ 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU ist ein nicht-erwerbstätiger Unionsbürger. Mein Sohn ist ein solcher nicht-erwerbstätiger Unionsbürger und somit gelten für mich die Regelungen des § 4 FreizügG/EU.
Somit laufen sämtliche restlichen Ausführungen ihrerseits bezüglich des § 3 FreizügG/EU in die Leere. Es wurde Ihrerseits schlicht der falsche Paragraph angewendet.
§ 4 FreizügG/EU lautet wie folgt:
§ 4 Nicht erwerbstätige Freizügigkeitsberechtigte
Nicht erwerbstätige Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, haben das Recht nach § 2 Abs. 1, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. [...]
Da die ausreichenden Existenzmittel unstreitig sind (I. 3.) muss nur ein ausreichender Krankenversicherungsschutz nachgewiesen werden. Diesem Schreiben sind die Nachweise über den Besitz eines Krankenversicherungsschutzes für mich und meine Tochter beigelegt.
2. Nach EuGH Urteil C 200/02 („Chen“) hat sowohl die drittstaatliche Mutter als auch das Kind mit Unionsbürgerschaft Aufenthaltsrecht im Aufnahmemitgliedsstaat, wenn die im Urteil angegebenen Voraussetzungen erfüllt sind. Diese Voraussetzungen werden vollumfänglich erfüllt.
III. Das Freizügigkeitsrecht meiner Tochter
1. Nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Freizügigkeitsgesetz/EU Abschnitt 0.1.3 hat Gemeinschaftsrecht, d.h. die Richtlinien 2004/38/EG, Anwendungsvorrang vor dem deutschen Freizügigkeitsgesetz/EU.
In Bezug auf die drittstaatliche Halbschwester ist der britische Halbbruder der primär aufenthaltsberechtigte Unionsbürger und somit ist Artikel 3 Abschnitt 2a der EU-Richtlinie bzw. das in nationales Recht umgewandelte Gesetz anzuwenden. Dieser Teil der Richtlinie wurde durch Deutschland nicht in einem nationalen Gesetz umgesetzt.
Siehe hierzu das Urteil des VG Berlin vom 21.09.2015 VG 4 K 622.13 V:
Die in Art. 3 Abs. 2 Nr. a) der Richtlinie 2004/38/EG Unionsbürgerrichtlinie vorgesehenen Erleichterungen für Einreise und Aufenthalt der dort genannten Mitglieder des erweiterten Familienkreises sind in der Bundesrepublik Deutschland nicht erkennbar umgesetzt worden.(amtlicher Leitsatz)
Somit ist das Aufenthaltsrecht für die Halbschwester direkt aus der Richtlinie 2004/38/EG gegeben und herzuleiten. Dieses ist aus Artikel 3 Abs 2 Nr. a) gegeben.
Artikel 3 Berechtigte
[…]
(2) Unbeschadet eines etwaigen persönlichen Rechts auf Freizügigkeit und Aufenthalt der Betroffenen erleichtert der Aufnahmemitgliedstaat nach Maßgabe seiner innerstaatlichen Rechtsvorschriften die Einreise und den Aufenthalt der folgenden Personen:
a) jedes nicht unter die Definition in Artikel 2 Nummer 2 fallenden Familienangehörigen ungeachtet seiner Staatsangehörigkeit, dem der primär aufenthaltsberechtigte Unionsbürger im Herkunftsland Unterhalt gewährt oder der mit ihm im Herkunftsland in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat, oder wenn schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege des Familienangehörigen durch den Unionsbürger zwingend erforderlich machen;
[…]
Der Aufnahmemitgliedstaat führt eine eingehende Untersuchung der persönlichen Umstände durch und begründet eine etwaige Verweigerung der Einreise oder des Aufenthalts dieser Personen.
Die Erteilung der Aufenthaltskarte ist aus Artikel 10 der Richtlinie 2004/38/EG herzuleiten:
Artikel 10 Ausstellung der Aufenthaltskarte
(1) Zum Nachweis des Aufenthaltsrechts der Familienangehörigen eines Unionsbürgers, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, wird spätestens sechs Monate nach Einreichung des betreffenden Antrags eine "Aufenthaltskarte für Familienangehörige eines Unionsbürgers" ausgestellt. […]
(2) Für die Ausstellung der Aufenthaltskarte verlangen die Mitgliedstaaten die Vorlage folgender Dokumente:
[…]
e) in den Fällen des Artikels 3 Absatz 2 Buchstabe a ein durch die zuständige Behörde des Ursprungs- oder Herkunftslands ausgestelltes Dokument, aus dem hervorgeht, dass die Betroffenen vom Unionsbürger Unterhalt beziehen oder mit ihm in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben, oder der Nachweis schwerwiegender gesundheitlicher Gründe, die die persönliche Pflege des Familienangehörigen durch den Unionsbürger zwingend erforderlich machen;
[…]
Bis jetzt war es unstreitig, dass zwischen meinem Sohn und meiner Tochter in Thailand und in Deutschland eine häusliche Gemeinschaft bestand und weiterhin besteht, da bis jetzt keine Bescheinigung über den Bestand der häuslichen Gemeinschaft zwischen meinen Kindern Ihrerseits gefordert wurde. Falls Sie doch die häusliche Gemeinschaft in Frage stellen habe ich zur Glaubhaftmachung des Sachverhaltes eine eidesstattliche Versicherung dem Schreiben beigelegt. Falls diese Glaubhaftmachung Ihnen nicht ausreicht, so kann ich versuchen eine Bescheinigung nach thailändischem Meldegesetz vom thailändischen Konsulat in Deutschland zu beschaffen und einzureichen.
Somit ist ersichtlich, dass meiner Tochter die Bedingungen für die Erteilung einer „Aufenthaltskarte für Familienangehörige eines Unionsbürgers“ erfüllt sodass diese erteilt werden muss.
2. Gemäß EuGH, Urteil vom 25. Juli 2008 C‑127/08 („Metock“) muss ein normales Familienleben möglich sein. Mein Sohn und meine Tochter werden seit Anbeginn gemeinsam erzogen und leben von Anbeginn in einer gemeinsamen häuslichen Gemeinschaft. Durch die Weigerung bei meiner Tochter die Freizügigkeit festzustellen bzw. ein Aufenthaltsrecht zu erteilen, wäre meine Tochter zur Ausreise gezwungen. Als Mutter kann ich nicht zwischen meinen Kindern wählen, sodass wir gemeinsam ausreisen würden. Daraus folgt, dass mein Sohn nicht von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch machen könnte. Dies würde eine unzulässige Einschränkung seines Freizügigkeitsrechtes bedeuten.
62 Wie bereits in Randnr. 56 des vorliegenden Urteils ausgeführt, würde die Ausübung der Freiheiten, die der Vertrag den Unionsbürgern gewährleistet, schwerwiegend behindert, wenn diese im Aufnahmemitgliedstaat kein normales Familienleben führen dürften.
63 Folglich kann der Gemeinschaftsgesetzgeber im Rahmen der Zuständigkeit, die ihm die genannten Artikel des Vertrags einräumen, die Voraussetzungen regeln, unter denen die Familienangehörigen eines Unionsbürgers in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einreisen und sich dort aufhalten dürfen, sofern der Unionsbürger dadurch in seiner Freizügigkeit beeinträchtigt sein könnte, dass ihn seine Familie nicht in den Aufnahmemitgliedstaat begleiten oder ihm nicht dorthin nachziehen darf, weil ihn dies davon abhielte, von seinem Recht Gebrauch zu machen, in diesen Mitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten.
3. Bezüglich der Anwendung des Aufenthaltsgesetzes um die nationale Regelungslücke des FreizügG/EU, möchte ich erneut aus den amtlichen Leitsätzen des Urteils des VG Berlin vom 21.09.2015 VG 4 K 622.13 V zitieren:
Eine richtlinienkonforme Auslegung von § 36 Abs. 2
AufenthG scheidet aus Gründen der Gewaltenteilung angesichts des vom Gerichtshof der Europäischen Union im Urteil vom 5. September 2012 (Rechtssache C8311 Rahman) festgestellten großen Spielraums des Gesetzgebers bei der Umsetzung der genannten Richtlinienbestimmung aus. (amtlicher Leitsatz)
4. Äußerst hilfsweise muss gemäß ständiger Verwaltungspraxis meiner Tochter zumindest eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5
AufenthG erteilt werden. Insbesondere da hier § 6
GG und § 8 EMRK greifen. Siehe hierzu BVerwG 10 C 16.12 Rn 15 ff.
Art. 6 Abs. 1 und 2
GG gewährt keinen unmittelbaren Aufenthaltsanspruch, verpflichtet die Ausländerbehörden jedoch, bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren die bestehenden familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, umfassend zu berücksichtigen. Die Pflicht des Staates zum Schutz der Familie drängt einwanderungspolitische Belange erst dann zurück, wenn die gelebte Familiengemeinschaft nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden kann, etwa weil besondere Umstände demjenigen Mitglied dieser Gemeinschaft, zu dem der Ausländer eine außergewöhnlich enge Beziehung hat, ein Verlassen des Bundesgebiets unzumutbar machen. Handelt es sich bei diesem Mitglied der Familiengemeinschaft um ein Kind, so ist maßgeblich auf die Sicht des Kindes abzustellen (BVerfG, Beschlüsse vom 18. April 1989 2 BvR 1169/84 BVerfGE 80, 81 <93>, vom 12. Mai 1987 2 BvR 1226/83, 101, 313/84 BVerfGE 76, 1 <46 ff.>, vom 5. Juni 2013 2 BvR 586/13 AuAS 2013, 160, vom 10. Mai 2008 2 BvR 588/08 InfAuslR 2008, 347 und vom 23. Januar 2006 2 BvR 1935/05 InfAuslR 2006, 320). Die Besonderheiten, die sich aus einer als „PatchworkFamilie“ bezeichneten familiären Konstellation ergeben, müssen sorgfältig ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht berücksichtigt werden. Auch die außerhalb der „PatchworkFamilie“ stehenden leiblichen Elternteile der minderjährigen Familienangehörigen sind in die Betrachtung einzubeziehen.
Es wäre ermessensfehlerhaft - im Falle, dass meiner Tochter kein Freizügigkeitsrecht zuerkannt wird, keine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 zu erteilen. Es würde sonst die familiäre Einheit unserer Patchwork-Familie verletzt.
Mit freundlichen Grüßen
A B
Anlage:
- Nachweis des Krankenversicherungsschutzes zu meiner Person
- Nachweis des Krankenversicherungsschutzes meiner Tochter
- Eidesstattliche Versicherung über den Bestand und das Bestehen der häuslichen Gemeinschaft
Eidesstattliche Versicherung über den Bestand und das Bestehen der häuslichen Gemeinschaft
Hiermit versichere ich, Frau X Y, geboren am XX.XX.XXXX in X/Thailand, wohnhaft in König-Kurt-Straße 1 in 04123 Dresden, in Kenntnis der Bedeutung einer eidesstattlichen Versicherung und ferner, dass die eidesstattliche Versicherung auch zur Vorlage bei Gericht bestimmt ist, Folgendes an Eides statt:
Meine Tochter, X Y geboren am XX.XX.XXXX in X/Thailand, und mein Sohn, X Y geboren am XX.XX.XXXX in X/Thailand, haben vonGeburt an in einer häuslichen Gemeinschaft mit mir gelebt haben. Es bestand zwischen den Geschwistern stets eine häusliche Gemeinschaft die auch in Deutschland fortgesetzt wurde und wird.
Dresden, den 17.10.2015
A B
Habs als docx nochmal angehangen damit die Formatierung nicht verloren geht. Steht natürlich wie immer zur Diskussion.
Fraglich ist halt ob man einen Nachweis für das Bestehen der häuslichen Gemeinschaft erbringen kann. Falls man vom thailändischen Einwohnermeldeamt oder vom Konsulat Nachweise beschaffen kann, sollte man diese mE beschaffen.