Hertelkiez
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Dresden Germany
Beziehung zum Thema Ausländerrecht: Ich bin selbst Ausländer/in
Staatsangehörigkeit: DE
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Der Bescheid liegt jetzt vor, haben ihn heute bei der ABH abgeholt. Demnach sind meine Frau und Stieftochter nicht freizügigkeitsberechtigt, welch Überraschung. Eine Aufenthaltserlaubnis nach §28 Abs.1 S.1 Nr.1 wird abgelehnt, ebenso die für die Tochter nach §32 Abs.1 Erteilt wird eine Aufenthaltserlaubnis nach §25 Abs.5 für 6 Monate (!) Sind 6 Monate normal? Die Gebühren sind 100 bzw. 50 Euro für die Kleine. Um schon jetzt reisen zu dürfen, konnte man uns zwar keine Fiktionsbescheinigung ausstellen (normal?) aber hat uns eine Produktionsbescheinigung gegeben ("Bescheinigung über einen bewilligten Aufenthaltstitel") ohne Gewähr, dass dies auch funktioniert. Wir haben heute ebenfalls unsere Family Permits aus UK zurück erhalten (schneller Service!) so dass wir uns in Kombination mit dem immerhin noch bis April gültigen Schengen Visa nun in Aussicht auf den Check-In in Bangkok auf der sicheren Seite fühlen. Die Begründung zitiere ich hier gerne im Wortlaut, da bekanntlich recht komplex: Begründung I.
Gemäß § 2 Abs. 1 FreizügG/EU haben freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und ihre Familienangehörigen das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe dieses Gesetzes.
Unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt nach § 2 Abs. 2 FreizügG/EU sind:
1. Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer oder zur Berufsausbildung aufhalten wollen, 1a. Unionsbürger, die sich zur Arbeitsuche aufhalten, für bis zu sechs Monate und darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden, 2. Unionsbürger, wenn sie zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit berechtigt sind (niedergelassene selbständige Erwerbstätige), 3. Unionsbürger, die, ohne sich niederzulassen, als selbständige Erwerbstätige Dienstleistungen im Sinne des Artikels 57 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union erbringen wollen (Erbringer von Dienstleistungen), wenn sie zur Erbringung der Dienstleistung berechtigt sind, 4. Unionsbürger als Empfänger von Dienstleistungen, 5. nicht erwerbstätige Unionsbürger unter den Voraussetzungen des § 4, 6. Familienangehörige unter den Voraussetzungen der §§ 3 und 4, 7. Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die ein Daueraufenthaltsrecht erworben haben.
Weder Sie noch Ihre Tochter sind Unionsbürger. Jedoch ist Ihr Sohn britischer Staatsangehöriger. Er kann damit grundsätzlich ein Freizügigkeitsrecht aus §2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU geltend machen, da Ihr Ehemann zugesichert hat, dass er für den Lebensunterhalt Ihres Sohnes aufkommen wird. Damit sind die Voraussetzungen des § 4 FreizügG/EU erfüllt.
Zu prüfen ist nun, ob Sie und Ihre Tochter als Familienangehörige eines EU-Bürgers gelten und aus diesem Grund ebenfalls aus § 2 Abs. 2 Nr. 6 FreizügG/EU ein Freizügigkeitsrecht ableiten können.
Nach § 3 Abs. 1 S. 2 FreizügG/EU haben Familienangehörige der § 2 Abs. 2 Nr. 5 genannten Unionsbürger das Recht nach § 2 Abs. 1 nach Maßgabe des § 4 FreizügG/EU, d.h., die Familienangehörigen müssen den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen und über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen.
Zu den Familienangehörigen zählen nach § 3 Abs. 2 FreizügG/EU 1. der Ehegatte, der Lebenspartner und die Verwandten in absteigender gerader Linie der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 und 7 genannten Personen oder ihrer Ehegatten oder Lebenspartner, die noch nicht 21 Jahre alt sind, 2. die Verwandten in gerader aufsteigender und in gerader absteigender Linie der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 und 7 genannten Personen oder ihrer Ehegatten oder Lebenspartner, denen diese Personen oder ihre Ehegatten oder Lebenspartner Unterhalt gewähren.
a) abgeleitetes Freizügigkeitsrecht als Familienangehörige für [die Mutter]
Sie machen geltend, dass Sie bereits gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 – 7 FreizügG/EU Familienangehörige sind und damit für Sie nur noch § 4 FreizügG/EU gelte. Sie werfen der Ausländerbehörde vor, dass § 3 Abs. 2 FreizügG/EU in Ihrem Fall ins Leere laufen würde.
Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. In der Vorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 6 FreizügG/EU heißt es deutlich, dass Familienangehörigen von Unionsbürgern nur unter den Voraussetzungen der §§ 3 und 4 FreizügG/EU ein Freizügigkeitsrecht zusteht. Grundvoraussetzung dafür ist, dass Sie überhaupt als Familienangehörige im Sinne des FreizügG/EU gelten. Das ist bei Ihnen nicht der Fall, da keine der in § 3 Abs. 2 FreizügG/EU genannten Alternativen auf Sie zutrifft. Zwar können grundsätzlich auch die Eltern eines Unionsbürgers freizügigkeitsberechtigt sein, Voraussetzung dabei ist jedoch nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU, dass der Unionsbürger seinen Eltern Unterhalt gewährt. Sie erhalten jedoch keine Unterhaltszahlungen von Ihrem Sohn. In Ihrem Fall verhält es sich so, dass Ihrem Sohn Unterhalt von Ihrem Ehemann gewährt wird, damit Ihr Sohn ein Freizügigkeitsrecht besitzt.
Nach Nr. 3.2.2.2 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU-VwV) kann aus § 3 Abs. 2 Nr. 2 ausnahmsweise auch dann ein Aufenthaltsrecht abgeleitet werden, wenn nicht der EU-Bürger seinen Verwandten den Unterhalt gewährt, sondern es sich umgekehrt verhält. Dies ist der Fall, wenn es sich bei dem EU-Bürger um einen freizügigkeitsberechtigten Minderjährigen handelt, der von dem drittstaatsangehörigen Elternteil tatsächlich betreut wird, diese Betreuung erforderlich ist und keine öffentlichen Mittel in Anspruch genommen werden (vgl. EUGH, Urteil vom 19. Oktober 2004, Rs. C-200/02, Zu/Chen, Rn. 42 ff.).
Sie erfüllen jedoch auch nicht die Voraussetzungen, die im Urteil „Zu/Chen“ aufgestellt wurden, um ein abgeleitetes Freizügigkeitsrecht für sich geltend zu machen. Es handelt sich hier um zwei unterschiedliche Sachverhalte. Im Klageverfahren „Zu/Chen“ stellte sich die Situation so dar, dass Frau Chen von Ihrer minderjährigen Tochter Catherine, die durch Ihre Geburt in Irland die irische Staatsangehörigkeit erworben hat, ein Freizügigkeitsrecht ableiten konnte, da beide aufgrund der Erwerbstätigkeit von Frau Chen wirtschaftlich unabhängig waren. Der Europäische Gerichtshof stellte fest, dass Artikel 18 EG und die Richtlinie 90/364 unter Umständen wie denen im Verfahren „Chen“ dem minderjährigen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Kleinkindalter, der angemessen krankenversichert ist und dem Unterhalt von einem Elternteil gewährt wird, der Staatsangehöriger eines Drittstaats ist und dessen Mittel ausreichen, um eine Belastung der öffentlichen Finanzen des Aufnahmemitgliedstaats durch den Minderjährigen zu verhindern, das Recht verleihen, sich für unbestimmte Zeit im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufzuhalten. In einem solchen Fall erlauben dieselben Vorschriften es dem Elternteil, der die Personensorge für diesen Staatsangehörigen tatsächlich wahrnimmt, sich mit ihm im Aufnahmemitgliedstaat aufzuhalten.
In Ihrem Fall verhält es sich jedoch so, dass Sie und Ihr Sohn nicht durch Ihr eigenes Einkommen wirtschaftlich abgesichert sind, sondern nur durch das Einkommen Ihres Ehemannes. Sie selbst gehen lediglich seit dem 20. Juni 2015 einer geringfügigen Beschäftigung nach [...]. Dieses Einkommen allein reicht nicht aus, um Ihren Lebensunterhalt und den Ihres Sohnes zu sichern. Ihr Sohn kann nur aus dem Grund ein Freizügigkeitsrecht geltend machen, weil Ihr Ehemann zugesichert hat, dass er für den Lebensunter-halt Ihres Sohnes aufkommen wird. Im Ergebnis stellt die Ausländerbehörde fest, dass Sie nicht freizügigkeitsberechtigt sind.
b) abgeleitetes Freizügigkeitsrecht als Familienangehörige für Ihre Tochter
Ihre erfüllt ebenfalls keine der in § 3 Abs. 2 FreizügG/EU genannten Alternativen, da von einem Geschwisterkind kein Freizügigkeitsrecht abgeleitet werden kann.
Anders als von Ihnen geltend gemacht, ergibt sich auch aus der unmittelbaren Anwendung von Art. 3 Abs. 2 S. 1 Nr. a) Unionsbürgerrichtlinie kein Anspruch auf ein Aufenthaltsrecht und insbesondere auch kein Freizügigkeitsrecht Ihrer Tochter.
In Art. 3 Abs. 2 S. 1 Nr. a) Unionsbürgerrichtlinie heißt es: „Unbeschadet eines etwaigen persönlichen Rechts auf Freizügigkeit und Aufenthalt der Betroffenen erleichtert der Aufnahmemitgliedstaat nach Maßgabe seiner innerstaatlichen Rechtsvorschriften die Einreise und den Aufenthalt jedes nicht unter die Definition in Artikel 2 Nummer 2 fallenden Familienangehörigen ungeachtet seiner Staatsangehörigkeit, dem der primär aufenthaltsberechtigte Unionsbürger im Herkunftsland Unterhalt gewährt oder der mit ihm im Herkunftsland in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat, oder wenn schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege des Familienangehörigen durch den Unionsbürger zwingend erforderlich machen.“
Die Frage , ob die hier getroffene Regelung durch die Bundesrepublik Deutschland ausreichend in den nationalen Gesetzen berücksichtigt und umgesetzt wurde, kann hier außen vor bleiben, da sie für die Entscheidung selbst nicht relevant ist, ebenso die Frage, ob die Vorschrift unmittelbar auf Ihre Tochter anwendbar ist, da selbst in diesem Fall aus der Vorschrift des Art. 3 Abs. 2 S. 1 Nr. a) kein Freizügigkeitsrecht abgeleitet werden könnte.
Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 5. September 2012 (Az.: C-83/11) zum Zweck der Regelung ausgeführt, dass Art. 3 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie die Mitgliedsstaaten nicht dazu verpflichtet, Familienangehörigen im weiteren Sinne ein Recht auf Einreise und Aufenthalt, d.h. ein Freizügigkeitsrecht, zuzuerkennen. Es sollen lediglich die Anträge dieser Personen auf Einreise und Aufenthalt gegenüber anderen Drittstaatangehörigen in gewisser Weise bevorzugt behandelt werden.
Konkret bedeutet das, dass der Gesetzgeber verpflichtet wird, im Aufenthaltsgesetz Regelungen zu schaffen, die den Aufenthalt dieser genannten Personengruppe erleichtern, ein Freizügigkeitsrecht ergibt sich aus dieser Vorschrift jedoch nicht. Auch das von Ihnen angeführte Gerichturteil des VG Berlin vom 19. März 2015 (Az.: 4 K 622.13 V) kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Das VG Berlin erklärte im dritten Leitsatz der Entscheidung ebenfalls, dass es für eine unmittelbare Anwendung des Art. 3 Abs. 2 Nr. a) Unionsbürgerrichtlinie an einer inhaltlich unbedingten und hinreichend genauen Verpflichtung fehlt.
Im Ergebnis ist festzustellen, dass Ihre Tochter kein Freizügigkeitsrecht für sich geltend machen kann.
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